Hundeerziehung - BASISInfos - Sichtweise

Es war einmal eine Frau, die gerne immer nett zu ihren Hunden sein wollte. Sie informierte sich über Trainingsmethoden und besuchte Seminare und Fortbildungen, um zu erfahren wie man einen Hund ganz ohne Strafe erzieht. Sie erfuhr schnell, dass man Problemverhalten umlenken müsse, ein rein positiv aufgebautes Alternativverhalten ebenfalls effektiv sei, man durchaus immer nett zu seinen Hunden sein könne, wenn man nur früh genug bestätige und dass sämtliche Strafmaßnahmen zu einem ängstlichen und hilflosen Hund führen würden.

Als Mittel der Wahl wurde ihr der Clicker in die Hand gedrückt, sie erfuhr einiges über Verstärkungssysteme und wie man diese in der Arbeit nutzen kann. Die Dame war begeistert! Endlich eine nette Art mit Hunden umzugehen, ganz ohne Strafe. Schnell fand sie, dass dies auch andere Hundehalter erfahren müssten und machte eine Hundeschuleauf. Auf ihrer Webseite prangte der Slogan „ich arbeite ausschließlich positiv mit Hunden über Belohnungen“. Und wenn sie nicht gestorben ist, so klickert sie noch heute.


Realität im Hundetraining
Ein Märchen? Leider Realität.
Das Märchen an der ganzen Geschichte ist aber ein ganz entscheidender Punkt: In der Realität ist ein Training und die ganze Hundehaltung ohne Strafe nicht möglich.

Was wird als Strafe hier empfunden? Strafe wird in einem lerntheoretischen Sinn verstanden, das heißt entweder als positive Strafe (hinzufügen eines unangenehmen Reizes, weswegen ein Verhalten weniger auftritt) oder als negative Strafe (ein angenehmer Reiz wird entzogen, weswegen ein Verhalten weniger auftritt).

Ebenfalls abgelehnt wird dabei aber auch die negative Verstärkung. Hier wird durch die Wegnahme eines unangenehmen Reizes ein Verhalten verstärkt. Dies ist problematisch, da man vorher einen unangenehmen Reiz hinzufügen muss um diesen anschließend wegnehmen zu können. Im Klartext bedeutet dies, dass dieser Effekt in Verbindung mit der positiven Strafe auftritt, die ja abgelehnt wird. Bleibt nur Eines: Die positive Verstärkung bei der etwas Angenehmes hinzugefügt wird, damit ein Verhalten häufiger auftritt.

Das klingt natürlich ganz nett und viele fallen auf die Masche der „Arbeit mit bloßer positiver Verstärkung“ rein. Einfach nur eine Belohnung hinzuzufügen, um ein Verhalten häufiger auftreten zu lassen, ist eine schöne Vorstellung und wird gerne praktiziert. Anstatt einen Hund zum Beispiel dafür zu bestrafen wenn er pöbelt, kann man ihm also ein Alternativverhalten beibringen, wie ein Hinschauen zum Hundehalter bei Sichtung eines anderen Hundes.

So positiv das alles klingt – ist ein Training nur über die positive Verstärkung möglich? Nein, das ist es nicht.

Im Training und im Alltag arbeitet und lebt man immer wieder mit Strafen – ob positiv oder negativ.
Um dem auf den Grund zu gehen, muss man sich die Definitionen der Strafe wieder in Erinnerung rufen.

Negative Strafe
Man kommt im Training nicht um diese Form der Strafe herum. Schon wenn ein Hund sich hinlegt anstatt sich zu setzen und dafür nicht belohnt wird, ist dies eine negative Strafe. Etwas Angenehmes (Belohnung wie ein Leckerchen) was er eigentlich erwartet, wird dem Hund mit dem Ziel das Verhalten „Platz“ beim Kommando „Sitz“ seltener auftreten zu lassen,  entzogen.
Diese Form der Verstärkung tritt auch deutlich bei „positiv aufgebauten Abbruchkommandos“ hervor.

Häufig wird dazu geraten, um dem Hund ein „Nein“ zu vermitteln, ihm ein Leckerchen zu zeigen und immer, wenn er dran geht, die Hand zu schließen, damit er nicht ran kommt. Erst wenn er sich zurücknimmt, wird das Leckerchen frei gegeben. Das Schließen der Hand bedeutet hier eindeutig eine negative Strafe.

Schon beim „free shaping“ mit dem Clicker hat man mit diesem Umstand zu tun. Hier wird der Hund sehr kleinschrittig für eigene Lösungsfindungen belohnt – es gibt keine Hilfe vom Halter. Probiert der Hund aber ein Verhalten aus, was er nicht tun soll, bleibt der „Click“ und die damit verbundene Belohnung aus. Dies ist eine negative Strafe, denn in Zukunft wird der Hund dieses Verhalten nicht noch einmal ausführen. Ganz besonders tritt dieses Phänomen zutage, wenn man den Hund vorher für ein gewisses Verhalten immer belohnt hat und das nächste Mal dies nicht mehr tut, damit er wieder etwas ausprobiert.

Leute, die Tricks mit ihren Hunden auf diese Art und Weise einüben, können ein Lied davon singen, wie es ist, die Balance zwischen Belohnung und Bestrafung zu halten, damit der Hund nicht demotiviert wird. Eine negative Strafe wirkt sich schließlich auf den Hund aus. Er empfindet es nicht als angenehm und verweigert im schlimmsten Fall die Zusammenarbeit. Zumal er durch den Frust auch weitere unerwünschte Verhaltensweisen entwickeln kann, die man eigentlich mit der „rein positiven Arbeit“ umgehen wollte.

Positive Strafe
Auch die positive Strafe ist letzten Endes unumgänglich. Man fügt dem Hund immer wieder negativ empfundene Reize zu, derer man sich gar nicht bewusst ist. Ein Hund der an der Leineläuft und noch nicht leinenführig ist, wird beim Auftauchen eines Artgenossen womöglich in die Leine springen. Egal was für ein Geschirr und egal welche Leine man benutzt – es gibt einen deutlichen Ruck. Dieser Ruck ist nicht angenehm. Auch das Zurückhalten am Geschirr (auch wenn dies vorher mit einem Signal positiv aufgebaut wurde) ist eine Maßnahme die positiv straft.

Wer das nicht glaubt, kann sich einen Rucksack aufziehen und jemanden bitten ihn daran festzuhalten. Auch wenn es nicht weh tut – es ist deutlich unangenehm in der Bewegungsfreiheit von hinten derart eingeschränkt zu werden. Dies hat man nicht nur bei der Leinenführigkeit. Auch Trainingsmaßnahmen für „anständiges durch die Tür gehen“, bedienen sich dieser lerntheoretischen Strafe. So heißt es oft, dass ein Hund, der durch die Tür stürmen will, am besten nicht zum Ziel kommt. Das heißt, die Tür wird geschlossen, sobald der Hund vorpreschen möchte. Dies ist natürlich eine positive Strafe und je nach Hund, kann es sogar zu einem „Dötscher“ vor die Nase kommen.

Natürlich wirkt hier auch die negative Strafe, denn dem Hund wird der angenehme Reiz des „raus Gehens“ entzogen. Man sieht damit deutlich, dass sich die Straf- und Verstärkungsarten häufig überschneiden und eine klare Abgrenzung im Alltag oft gar nicht möglich ist.
Bedürfnisorientierte Belohnung

Auch diese wird immer wieder in der „rein positiven“ Arbeit erwähnt. Es geht letzten Endes um das Problem, dass eine intendierte Belohnung keine Verstärkung sein muss.

Als Beispiel:
Möchte der Hund jagen gehen und hört auf einen Abruf, dann findet er die vom Besitzer angebotenen Leckerchen nicht besonders interessant. Das ist nicht das, was er jetzt grade will und somit wird diese Belohnung, die das Verhalten verstärken soll, nicht als solche empfunden. Ein „rein Zwingen“ wäre dabei schon eher eine positive Strafe.

Es macht durchaus Sinn den Hund Bedürfnis-orientiert zu belohnen. Anstatt mit Leckerchen zu wedeln, kann zum Beispiel als „Jagdersatz“ einen Futterbeutel fliegen gelassen oder ein Buddeln am Mauseloch als Belohnung genutzt werden.

Was ist eigentlich ein Bedürfnis? Ein Bedürfnis wird allgemein hin als Verlangen empfunden, einen Mangel zu beseitigen. Ein Mangel kann also nicht als positiv empfunden werden. Überall dort, wo Bedürfnis-orientiert belohnt wird, war vorher ein Mangel, den der Hund nicht selbst befriedigen konnte oder durfte.

Lasse ich den Hund in einem tolerierbaren Rahmen jagen (indem er beispielsweise dem Futterbeutel und nicht dem Wild nachrennt), dann klappt dies nur, weil der Hund kein Wild jagen darf und er somit einen Mangel hat.

Bestätigt man einen Blickkontakt mit sozialer Nähe, dann klappt dies nur, weil der Hund vorher einen Mangel hatte. Lässt man den Hund sein Futter draußen erarbeiten, dann nutzt man genau den Mangel an Nahrung um ihn zur Mitarbeit zu bewegen, schließlich ist Futter immer ein besonders starkes Bedürfnis bei Hunden, die ja anscheinend nie wirklich satt werden können. Auch die Arbeit mit Leckerchen setzt genau darauf. Wer das nicht glaubt, kann versuchsweise alles was der Hund gerne frisst, immer herum liegen lassen. Er wird schnell feststellen, dass der Hund dies als Belohnung im Training nicht mehr akzeptiert.

Fazit: Hundeerziehung ohne Strafe ist nicht denkbar
Meine hier gemachten Ausführungen sind mit nichten eine Ablehnung der Arbeit, die vorwiegend über positive Verstärkung läuft. Sie sollen aber aufklären, dass auch Hundehalter und Trainer, die sich damit rühmen „ausschließlich über positive Verstärkung“ zu arbeiten im Irrtum sind. Jegliches Training ist ohne Strafe nicht denkbar. Jegliche Belohnung ist ohne einen Mangelzustand nicht möglich. Dies ist nicht immer angenehm für den Hund. Die heile rosa Welt, die so manch einer konstruiert, existiert nicht.

Es stellt sich somit nicht die Frage ob, sondern wie man straft und wie man dies auf den jeweiligen Hund anpasst. Zumal es fraglich ist, ob ein Trainer, der anscheinend keine Ahnung hat, dass er auch in seinem „rein positiven Training“ straft und Mangelzustände des Hundes nutzt, wirklich weiß, was er mit seiner Art des Trainings bewirken kann und wo mögliche „Stolperfallen“ liegen.

Ich finde es vollkommen legitim, den Wunsch zu haben den Hund möglichst „lieb und nett“ zu behandeln. Es ist vollkommen legitim, dass Hundebesitzer Strafen wie Elektroschocks oder Stachelhalsbänder ablehnen. Völlig indiskutabel ist aber, dass Hundetrainer mit leeren Versprechungen und Worthülsen den Besitzern eine heile Welt vorgaukeln und damit auch noch ordentlich Kasse machen. Ein Trainer der sich damit rühmt von Lerntheorien richtig Ahnung zu haben, sollte sich diesen Implikationen bewusst sein, darüber aufklären und den geeigneten Weg mit den Hundehaltern suchen, der für sie und den Hund passt. Und dies fernab von ideologischem Denken und irgendwelchen verklärten Weltanschauungen.