Lerntheorie - Teil 1

Um zu wissen wie man dem Hund etwas beibringt und warum er so tickt, wie er tickt, ist es wichtig zu verstehen wie der Hund lernt. Warum setzt sich der Hund bei dem Wort „Sitz“?
Warum ist Lob und Strafe wichtig und welche Auswirkungen hat dies auf den Hund?
Warum zeigt der Hund, nachdem er einen neuen Hundefreund kennen gelernt hat, plötzlich neue Verhaltensweisen?

All diese Fragen soll die folgende Artikelreihe beantworten. Am Anfang wird ein kurzer Abriss über die Geschichte der Lerntheorie gegeben, dann folgt eine Erklärung der Theorie mit Beispielen und zum Schluss wird auf die Auswirkungen auf die Hundehaltung eingegangen. All die Lerntheorien treffen nicht nur auf den Hund zu – sie sind für alle Lebewesen bedeutsam. Trotzdem soll es im Folgenden in erster Linie um das Lernen beim Hund gehen.

Klassisches Konditionieren
Die Klassische Konditionierung ist die erste wichtige Lerntheorie, wenn man sich mit dem Lernen von Hunden beschäftigt.

Wer hat es „erfunden“?
Die klassische Konditionierung wurde per Zufall entdeckt und wirkte regelrecht revolutionär. Der Entdecker war der Physiologe Iwan Pawlow (1849-1936). Er wollte die Physiologie des Verdauungsprozesses bei Hunden untersuchen. Die Assistenten stopften den Hunden am Anfang der Experimente immer Fleischpulver ins Maul. Daraufhin wurden die verschiedenen Körpersekrete gemessen, unter Anderem auch die Menge des Speichels. Nach einigen Wiederholungen machte Pawlow eine erstaunliche Entdeckung: Die Hunde fingen bereits beim Anblick der Assistenten an, Speichel abzusondern. Sie hatten gelernt, dass diese Leute etwas mit Futter zu tun hatten und der Verdauungsvorgang setzte bereits früh ein, obwohl das Futter noch nicht einmal in Sichtweite war.

Aus diesem Zufallsergebnis erarbeitete Pawlow die Lerntheorie des klassischen Konditionierens. Das bekannteste Experiment ist wohl der „Pawlowsche Hund“, der auf eine Glocke mit Speichelfluss reagierte. Weniger bekannt sind seine Experimente bei denen der Hund auf einen Ton mit Schmerzen reagierte – hier wurde der Ton mit einem Elektroschock gekoppelt. Nach einigen Wiederholungen reichte bereits der Ton um die gleiche körperliche Reaktion hervorzurufen wie der Elektroschock selber.

Das klassische Konditionieren
Beim klassischen Konditionieren werden zwei Reize miteinander gekoppelt. Genauer gesagt wird ein neutraler Reiz mit einem Reiz gekoppelt der unkonditioniert ist und eine unkonditionierte Verhaltensweise nach sich zieht. Um es ganz verständlich zu machen, schauen wir an dieser Stelle mal einem Züchter über die Schulter. Viele Züchter konditionieren die Hunde direkt auf eine Pfeife, damit die späteren Besitzer die Hunde mit der Pfeife auch zurück rufen können.

Der Welpe hat noch keinerlei Vorerfahrung mit der Pfeife gemacht. Sie alleine wird kaum eine Reaktion hervorrufen (höchstens eine Orientierungsreaktion um zu schauen woher das komische Geräusch kommt), da sie für den Hund keinerlei Bedeutung hat. Die Pfeife, beziehungsweise der Pfeifton ist an dieser Stelle der neutrale Reiz, der lediglich eine neutrale Reaktion hervor ruft.

Dies wird nun mit einem unkonditionierten Reiz, dem Futter gekoppelt. Sobald das Futter in Sichtweite ist, wird der Welpe sich zu diesem Futter bewegen – dies ist eine unkonditionierte Reaktion. Es ist schlicht und ergreifend eine natürliche Verhaltensweise, die nie beigebracht wurde. Der Züchter fängt nun an zu pfeifen, sobald der Hund auf dem Weg zum Futter ist. Nach einigen Wiederholungen braucht der Züchter nur noch zu pfeifen – auch ohne das Futter kommt der Welpe zu ihm. Hier wurde aus dem vorher neutralen Reiz ein konditionierter Reiz, bei dem die gleiche Reaktion gezeigt wird, wie auf den unkonditionierten Reiz.
Man kann sich also grob vereinfacht folgendes Schema merken:

Neutraler Reiz (Pfeifton) + Unkonditionierter Reiz (Futter) = Konditionierte Reaktion (Kommen)

Dies ist wichtig für sämtliche Befehle. Auch wenn wir dem Hund ein „Sitz“ beibringen, machen wir es genauso. Man lockt den Hund in die richtige Position und während er sich setzt, sagen wir das Wort „Sitz“. Das Wort hat für den Hund eigentlich keinerlei Bedeutung, aber er versteht nach einigen Wiederholungen, dass mit dem Wort das „Sitzen“ gemeint ist, da er Beides miteinander verknüpft hat.

Dies funktioniert natürlich nicht nur in die eine Richtung, wie man sich aufgrund Pawlows Elektro-Schock-Experimenten denken kann. Es ist genauso möglich einen neutralen Reiz mit einem unkonditionierten Reiz zu koppeln, der zu einem Fluchtverhalten führt. Da kann der neutrale Reiz zu einem konditionierten Reiz werden, der die konditionierte Reaktion (Fluchtverhalten) auslöst. Dies hat besonders eine Bedeutung bei ängstlichen Hunden.

Generalisierung
Reize können generalisiert werden – das heißt im Klartext dass auch ein ähnlicher Reiz eine konditionierte Reaktion hervorrufen kann. Ein Hund der von einem großen schwarzen Hund gebissen wurde, kann bereits Angst empfinden, wenn er einen anderen schwarzen Hund sieht. Dies kann so weit gehen, dass er vor allen anderen Hunden Angst bekommt, da er dies generalisiert hat.

Reizdiskrimination
Natürlich hat auch dies Grenzen- wichtig ist da die Reizdiskrimination, das heißt die Unterscheidung von ähnlichen Reizen. Macht der gebissene Hund die Erfahrung dass ein anderer schwarzer Hund ganz nett und harmlos ist, wird die Generalisierung schwächer. Er lernt die Reize, auch wenn sie sehr ähnlich sind, zu unterscheiden.

Löschung
Die klassische Konditionierung beruht auf der Kontinuität der Reizdarbietung. Hier kommen wir noch mal zum Züchter vom Anfang zurück: Der Hund, der auf die Pfeife konditioniert wurde, kommt bereits auf den Pfeifton. An dieser Stelle ist es wichtig, dass der Züchter trotzdem den unkonditionierten Reiz (Futter) folgen lässt. Tut er dies nicht, wird das Verhalten „gelöscht“. Der Hund wird mit der Zeit immer seltener die konditionierte Reaktion auf den Pfeifton zeigen und dies schließlich völlig einstellen.

Spontane Erholung
Ein sehr interessantes Phänomen an dieser Stelle ist die spontane Erholung. Nach einiger Zeit des Ausbleibens des unkonditionierten Reizes, wird der Hund das gelernte Verhalten noch einmal stärker zeigen, bevor es zum Erliegen kommt. Möchte man beispielsweise das Jammern des Hundes vor der Fütterung löschen, ignoriert man das Verhalten und gibt dem Hund erst Futter wenn er ruhig ist. Dies wird immer besser klappen, bis die spontane Erholung einsetzt.

Nach einiger Zeit des Ausbleibens des unkonditionierten Reizes, wird der Hund das gelernte Verhalten nicht mehr zeigen. Jedoch tritt hier das Phänomen der „spontanen Erholung“ auf, das besagt, dass eine eigentlich gelöschte konditionierte Verhaltensweise nach einer gewissen Zeit plötzlich wieder auftritt. Möchte man beispielsweise das Jammern des Hundes vor der Fütterung löschen, ignoriert man das Verhalten und gibt dem Hund erst Futter wenn er ruhig ist. Dies wird immer besser klappen, bis die spontane Erholung einsetzt.

Da wird der Hund plötzlich noch lauter als vorher. In dieser Zeit heißt es durchzuhalten, bis das Verhalten nach dieser kurzen Episode tatsächlich verschwindet. Aber Vorsicht! Konditionierte Verhaltensweisen werden selbst nach einer Löschung schneller wieder gelernt, als Verhaltensweisen die nie konditioniert wurden und man ganz neu beibringt. Die Konditionierung eines Reizes ist immer leichter als die Löschung.

„Rauschen“ vs. Signal
Die Konditionierung erfolgt umso rascher, je stärker der neutrale Reiz sich von den Umweltreizen unterscheidet. Das Signal sollte sich deutlich von dem „Rauschen“ der Alltagsreize unterscheiden. Ein gebrummtes, leises „Sitz“ mit darauf folgendem Abklopfen des Hundes, wird nicht so schnell gelernt wie ein hohes „Sihiiiitz“ mit anschließendem deutlichem Lob.

Nutzen für die Verhaltenstherapie: Systematische Desensibilisierung
Das klassische Konditionieren lässt sich auch in der Verhaltenstherapie nutzen. Bei der Desensibilisierung wird davon ausgegangen, dass zwei sich widersprechende Emotionen nicht gleichzeitig auftreten können. Nutzt man dies nun systematisch, lassen sich Ängste therapieren. Hat ein Hund beispielsweise Angst vor Artgenossen, kann man ihm beim Anblick von anderen Hunden etwas Leckeres zu fressen geben. Die Freude über das Fressen widerspricht der Angst vor den anderen Hunden.

Dies muss allerdings systematisch erfolgen, das heißt man stellt eine „Reizhierarchie“auf. Dabei wird der Reiz der am wenigstens Angst auslöst nach „unten“ gestellt und die Reize die mehr Angst auslösen, einer Hierarchie entsprechend da drüber. Mit der Desensibilisierung beginnt man auf der untersten Stufe. Zeigt der Hund in dem Beispiel nun leichte Angst, ab einer Entfernung von 10 Metern, wird der Hund in dieser Entfernung zum anderen Hund gefüttert. Wichtig ist, dass der Abstand beibehalten wird, bis der Hund bei dieser Entfernung keine Angst mehr zeigt. Nun wagt man sich an den nächsten Meter heran, bis der Hund auch bei diesem Abstand keine Angst mehr zeigt. Im Idealfall kann man den Hund so systematisch desensibilisieren und der verknüpft andere Hunde nicht mehr mit etwas Negativen, sondern mit etwas Positiven.

Bedeutung für den Hundehalter
Schon aus den Beispielen wird deutlich wie wichtig die klassische Konditionierung ist, wenn wir mit einem Hund zusammen leben und ihn erziehen wollen.

Schon wenn wir dem Hund ein Kommando beibringen, ist es wichtig wie wir es tun. Möchten wir zum Beispiel den Hund auf ein „Hier“ konditionieren und ziehen den während wir rufen mit einer Schleppleine zu uns, wird der Hund den unangenehmen Zug mit dem Kommando verbinden. Er wird also in Zukunft nicht freudig kommen, da er gelernt hat dass das Rufen mit etwas Unangenehmen verbunden ist. Stattdessen ist es also enorm wichtig, dem Hund Kommandos positiv beizubringen, damit er immer etwas Angenehmes damit verbindet. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit dass er das Verhalten auch in anderen Situationen zuverlässig zeigt.

Auch muss bedacht werden, dass Hunde nur schwer generalisieren. Ein Hund der das Kommando „Sitz“ lernt, lernt auch alle anderen Umgebungsreize mit. Wenn wir ihm also dieses Kommando auf einer Wiese beibringen, heißt es noch lange nicht, dass er das neue Verhalten auch an der Straße macht. Aufgrund dessen ist es wichtig, dass neue Kommandos in vielen unterschiedlichen Situationen trainiert werden.

Hunde können zudem nur Reize miteinander verknüpfen die zusammen oder kurz nacheinander auftreten (letzteres führt zu den besseren Lernergebnissen). Es ist daher vollkommen unsinnig den Hund Stunden nachdem er alleine etwas kaputt gemacht hat, zu schimpfen. Er kann es nicht mehr mit der Aktion des „kaputt Machens“ in Verbindung bringen.
Er lernt höchstens, dass wenn Herrchen nach Hause kommt, es mächtig Ärger gibt.